Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 43

Johann Rufinatscha ist der bedeutendste Tiroler Symphoniker. Er stammt aus Mals in Südtirol, verbrachte aber den Großteil seines Lebens als Pianist und Komponist in Wien.
Seine erste Symphonie "Mein erstes Studium" aus dem Jahr 1834 markiert das Ende seiner Innsbrucker Studienzeit. Es ist überaus beeindruckend, welch ein Meisterwerk der erst 22-jährige Komponist mit seiner ersten Symphonie als Talentbeweis vorlegen konnte. Vor allem der zweite Satz mit seiner ungemein expressiven melodischen und harmonischen Gestaltung geht weit über das hinaus, was Rufinatscha an Höreindrücken in Innsbruck erfahren konnte. Die bewunderungswürdige Beherrschung der Satzkunst, die sich besonders im ersten und vierten Satz offenbart, kommt sicher von der gründlichen Schulung seines wichtigsten Innsbrucker Lehrers Martin Goller (1764-1836), der selbst ein vortrefflicher Komponist und eine geschätzte Autorität war.
Die Symphonie Nr. 5 ist hingegen ein beredtes Zeugnis von Rufinatschas Wiener Lehrjahren bei dem berühmten Musiktheoretiker Simon Sechter. Das Jahr 1846 bildete den Höhepunkt in Rufinatschas Künstlerleben. Mit vier Konzerten, gespielt von den berühmten Musikern des Hofopernorchesters im Februar, März, September und Oktober mit ausschließlich Werken des jungen Tiroler Komponisten rückt Rufinatscha als Komponist in das Rampenlicht der europäischen Musikhauptstadt. Im Rahmen dieser Premieren wurde vermutlich auch die h-Moll-Symphonie aufgeführt. Sie ist ein überaus engagiertes Werk, dessen moderne Gestaltung vermutlich auch durch die Wiener Auftritte Berlioz in den Jahren 1845 und 1846 mitbestimmt ist. Erstmals in der Geschichte der Symphonik kommt es zur bewussten Inszenierung des Feierlichen als besonderen Gestus von Würde und Erhabenheit, zur Symphonie als musikalische Königsgattung des 19. Jahrhunderts. Dies drückt sich vor allem im ersten Satz aus, sowohl im hymnischen Aufbau des Hauptthemas, das schon, wie später bei Bruckner, unmittelbar und harmonisch versetzt wiederholt wird, wie in der innigen, aber doch melodisch kräftigen Gestaltung des Seitenthemas. Das Scherzo folgt an zweiter Stelle, wie in Bruckners späten Symphonien, um den feierlichen langsamen Satz zum emotionalen Höhepunkt in der Gesamtarchitektur zu gestalten. Besonders dieser Satz lässt an viele Eigentümlichkeiten Bruckners denken. Bei Rufinatscha klingen sie hier erstmals in der Geschichte der Symphonie an, wobei sie aber erst das unerklärbare Genie Bruckner tatsächlich vollendet hat.
Mit Brahms, mit dem in dessen Professorenrunde Rufinatscha freundschaftlich verkehrte, verbinden ihn besonders die Tiefe der Gedanken und der Ernst des Ausdrucks.
Beide Symphonien Rufinatschas wurden erstmals wieder im Sommer 2006 in der Basilika von Stift Stams in einer begeisterten Aufführung mit der Cappella Istropolitana aus Bratislava unter der Leitung von Edgar Seipenbusch vorgestellt.

Track 8, 1:11
Finale. Allegro
(Beginn 4. Satz aus der Symphonie Nr. 5 in h-moll, Wien um 1846)